Die Niederschindmaaser hatten dereinst Glück. Viele Kirchgemeinden mussten im Ersten Weltkrieg ihre Glocken abliefern: Sie wurden eingeschmolzen, um für die mörderischen Schlachten rund um die Schützengräben noch mehr Munition und Waffen zu liefern. Nicht so das Geläut in Niederschindmaas. Es überstand den Krieg und galt als historisch wertvoll. Von der mittleren Glocke ist bekannt, dass sie laut Inschrift 1624 in Zwickau gegossen worden war, die große war vermutlich sogar noch deutlich älter. Und doch war die Gemeinde unzufrieden: Der Klang der Glocken mit den Tönen a, ais und d passte nicht zueinander. „Blechtopf“ wurde die zweiten Glocke wegen ihres Klangs im Dorf genannt und außer Betrieb gesetzt. „Das verbleibende unreine Quartgeläut ist völlig unbefriedigend“, heißt es in einem Schreiben des Kirchenvorstandes aus dem Jahr 1935.
So reifte der Entschluss, neue Glocken zu gießen. Anfangs wurde erwogen, nur eine oder zwei Glocken auszutauschen und so einen schönen Dreiklang zu bekommen. Nach längeren Diskussionen entschied sich die Kirchgemeinde jedoch, ein komplett neues Geläut in As-Dur bei der Hof-Glockengießerei „Franz Schilling Söhne“ in Apolda in Auftrag zu geben. Die alten Glocken durften wegen ihres historischen Wertes nicht zugunsten der neuen eingeschmolzen werden und wurden den Akten zufolge nach Wittenberg verkauft, wo sie den Zweiten Weltkrieg überstanden und in Gemeindehäusern weiterhin eingesetzt wurden.
Die drei neuen Bronzeglocken wurden am 9. Oktober 1935 gegossen und Anfang November geweiht. Dabei wurden sie zu einem Spiegel jener Zeit und der weithin unrühmlichen Rolle der Evangelischen Kirche im Nationalsozialismus. Denn als Glockenzier hatte sich die Kirchgemeinde eine Kombination des christlichen Kreuzes mit dem Hakenkreuz auserkoren. Die „Glauchauer Zeitung“ berichtete damals über die Glocken: „Der einzige Schmuck ist eine Symbolisierung unserer heutigen Zeit durch eine kunstvolle Vereinigung von Hakenkreuz und Christenkreuz.“
Mit solchem NS-Bezug auf ihren Glocken waren die Niederschindmaaser damals kein Einzelfall. So wusste die „Glauchauer Zeitung“ in jenen Tagen von einer weiteren Glockenweihe in der Region zu berichten, wo der Kirchenvorstand ein Zitat Adolf Hitlers als Inschrift für eine Glocke gewählt hatte. Als Vorbild für das Symbol der Glocken in Niederschindmaas wird zudem im damaligen Schriftwechsel mehrfach auf die „Domglocke zu Dresden“ verwiesen. Bekannt ist etwa auch ein Glockenspiel in Lößnitz im Erzgebirge mit nationalsozialistischen Inschriften und Glockenzier.
Lange ertönte der neue Dreiklang jedoch nicht vom Turm der Niederschindmaaser Kirche. Mit dem Überfall Hitler-Deutschlands auf Polen und dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs war das Material wieder für militärische Zwecke begehrt. So wurden zwei der Glocken beschlagnahmt und im Dezember 1941 ausgebaut. Fortan war nur noch die mittlere, 210 Kilogramm schwere Glocke zu hören. Bis heute. Öffentlich unzugänglich im Kirchturm blieb ihre nationalsozialistische Symbolik in den folgenden Jahrzehnten weitgehend unbeachtet.
Vor einigen Jahren entbrannte nun in Deutschland eine Debatte über den Umgang mit Glocken mit Nazi-Bezug. Daraufhin hat sich auch der Kirchenvorstand Dennheritz mit der Geschichte der Glocke in Niederschindmaas befasst. Unstrittig war, dass sich die Kirchgemeinde entschieden distanziert von der menschenverachtenden NS-Ideologie, der viele Millionen Menschen zum Opfer fielen. So haben die Kirchvorsteher entschieden, dass künftig nicht mehr mit dieser Glocke zu Gebet und Gottesdienst gerufen werden soll; vielmehr soll sie durch eine neue ersetzt werden.
Nun ist es so weit. Am 29. April wurde eine neue Bronzeglocke in der Glockengießerei Petit & Gebr. Edelbrock im nordrhein-westfälischen Gescher gegossen. Sie wiegt 232 Kilogramm. „Sie ist klang- und stimmungsvoll ohne Reibungen und Schwebungen, anschließend mit sehr ruhig und gleichmäßig ausklingendem Unterton“, konstatiert Glocken-Experte Roy Kress vom Regionalkirchenamt Leipzig in seinem Gutachten. „Hervorzuheben ist eine überdurchschnittliche starke Resonanz für eine Glocke in dieser Größe. Insgesamt kann dem Instrument eine sehr gute Qualität bescheinigt werden.“
Als klares Statement gegenüber der NS-Symbolik auf der alten Glocke von 1935 und als aktuelles Glaubenszeugnis hat sich der Kirchenvorstand als Inschrift für Jesu Worte entschieden: „Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater denn durch mich.“ (Johannes 14,7) Dieser Vers ziert die neue Glocke zusammen mit einem Christusmonogramm sowie einem der Dornenkrone nachempfundenen Fries. Die Kosten betragen etwa 15 000 Euro, die Landeskirche steuert dazu 12 000 Euro bei.
Bevor die Glocke in den Kirchturm gezogen und dort hoffentlich einige Jahrhunderte lang ihren Dienst tun wird, kann sie am 16. Oktober von allen Gemeindemitgliedern und Interessierten aus der Nähe inspiziert werden. In einem Gottesdienst mit Pfarrer Wolfgang Eichhorn um 10.30 Uhr wird sie dann feierlich geweiht.
Und was geschieht mit der alten Glocke? Der Kirchenvorstand hat beschlossen, sie als stummes Mahnmal im Kirchturm zu belassen. Damit sollen am authentischen Ort künftige Generationen daran erinnert werden, dass auch in unseren Dörfern dereinst Menschen der Ideologie des Nationalsozialismus verfallen waren. In der Gegenüberstellung mit der neuen Glocke soll zugleich deutlich werden, auf welches Fundament Christen ihre Zuversicht und ihr Leben gründen mögen.
Bild und Text: Andreas Hummel – Kirchengemeinde Dennheritz Niederschindmaas e.V.